Mittwoch, 5. Oktober 2016

Was eigentlich ist ein Witz?

Vierte Stunde … Deutsch steht auf dem Stundenplan der Klasse 3. Heute geht es um ein Thema, das schon letzte Woche angekündigt war, denn die Kinder sollten bis zum heutigen Tag Witze sammeln. Witze von Kinderseiten aus Zeitschriften, von anderen Menschen erzählte Witze (aber nur „saubere“), Witze aus Kinderwitzebüchern. Ein oder zwei Witze sollten sich die Kinder merken, einen auch aufschreiben.

Nun ist es endlich so weit.

Alle versammeln sich im Stuhlkreis, bringen ihre Hefte mit und tuscheln sich gegenseitig schon die ersten Witze zu oder machen sich Gedanken über mögliche Reaktionen der Mitschüler.

Als erfahrener Lehrerin ist mir klar, dass hier und da auch schon ein schmutziges Witzlein lauert. Mein Herz kichert bereits, denn Kinder lieben es, ihre Grenzen auszutesten.
So bin ich auf alles gefasst. Aber nur nicht auf das, was dann folgt.

Nachdem ein paar harmlose Witze erzählt oder vorgelesen sind, man mehr oder weniger laut gelacht und bei jedem Witz gemeinsam überlegt hat, was denn jeweils die Pointe bzw. was daran eigentlich zum Lachen sei, kommt Tommi, ein gemütlich runder Knirps mit fast ununterbrochenem Grinsen im Gesicht,  an die Reihe. Aufgeschrieben hat er nichts. Seine Schreibunlust zieht sich durch alle Fächer.

„Na dann“, sage ich, „Tommi, dann erzähl uns mal deinen Witz.“

Tommi holt tief Luft und wir horchen gespannt dem Jungen, der von sich selbst so häufig sagt: „Ich bin ein lustiger Typ.“ Was er uns wohl mitgebracht hat?

Tommi zuzuhören ist allein schon deshalb lustig, weil er alle s-Laute so nett lispelt. Ich schreibe sie daher mit englischem -th-.

„Althooooooo,“ (er holt tief Luft) „altho da war mal ein Baby …“

Alle schauen gespannt …

„Althoooo …“ (er holt wieder tief Luft) „dath Baby, dath ith Trampolin gesprungen …”

Pause. Tommi schaut erwartungsvoll in die Runde.

Alle blicken gespannt in seine Richtung, Tommi dagegen guckt enttäuscht von einem zum anderen. In seinem Gesicht zeichnet sich ein großes Fragezeichen ab.

„Und weiter, Tommi? Wie geht es denn weiter?“, frage ich.

„Tholl ich noch einen erthählen? Na gut.“ (tiefes Luftholen) „Althoooooooooo … (vorfreudiges Grinsen) … ein Baby fährt Trecker.“

Kurze Pause. Dann schenkelschlagendes Gelächter im ganzen Zuhörerkreis.

Kein einziger der vorher erzählten Witze zeitigte einen solchen Lacherfolg wie Tommis zwei Babywitze. In diesem Moment bin ich froh, dass Tommis Gemüt noch so kindlich und er selbst wegen seiner kindlichen Art bei allen Mitschülern und Mitschülerinnen so beliebt ist. Sonst wäre er in diesem Moment sicher beleidigt gewesen.

Seitdem allerdings unsere Nachbarn ein kleines Mädchen haben, das mit seinen fast zwei Jahren inzwischen mit seinen beiden Brüdern auch auf dem großen Trampolin springen darf, kann ich Tommi sehr gut verstehen.

Mein Witz:

„Alsoooo … also da ist ein kleines Mädchen, das ist fast noch ein Baby. Alsooo, das Mädchen, das wird auf dem Trampolin von seinen beiden größeren Brüdern mitgesprungen.“

Pause …

Wie? Keiner lacht???

UN 2016

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